Während ich die letzten Meter auf der holperigen und für mich endlosen Dammstrasse hinter mich bringe, kurble ich das Fenster runter und geniesse die erste von der Morgensonne aufgewärmte Sommerbrise. Entlang der Strasse liegt frisch geschnittenes Gras, die Bäume entlang des Dammes wanken leicht im sanften Morgenwind.
Meine Augen fliegen munter umher, mal auf die Strasse, mal entlang der Bäume, denn ich weiss, demnächst sehe ich endlich den Grande Fiume.
 
Endlich am Ziel angekommen wird in sanfter Hast das Tackle ausgeladen, die Ruten mit den Rollen bestückt, die Schnur durch die Ringe gefädelt, der Köder und das Vorfach montiert sowie die Knoten nochmals und nochmals geprüft.
 
Die Finger kribbelig, der Körper angespannt und das ansteigende Adrenalin lässt den Geist immer wieder Purzelbäume schlagen.
Ich besteige das Boot und die kleinen Wellen lassen es leicht wanken. Nun wird mir klar: ich bin hier. Die Welse rufen, das Abenteuer beginnt.
Den Motor gestartet, die Leinen gelöst und ab geht die Reise. Der erste Ausflug.
Inzwischen umringt der aufziehende, nächtliche Vorhang die Gefilde am Fiume.
 
Den nächsten Tag mit chillen und quatschen verbracht, ein kühles Bier oder zwei zu den heissen Temperaturen genossen fühle ich mich nach einer feinen Pasta genug gestärkt um den Welsen auf die Pelle zu rücken.
Gemütlich hinter dem Steuerstand geht die Fahrt den Fluss hinauf, wo die langen Sandbänke langsam im Mondlicht schimmern. Die langen Schatten der Pappeln greifen nach uns als wir dem Ufer näher kommen und uns auf die erste Lauschlauer legen.
 
Den Motor abgestellt, die Ruten noch immer in den Rutenhaltern, bewegen wir uns kaum und lauschen einfach auf die Geräusche der Nacht.
Wo die Fasane in den Wäldern die letzten Schreie in die Nacht von sich geben, der Reiher sich durch unsere Anwesenheit gestört fühlt und mit Gemotze den umgestürzten, ins Wasser ragenden Baum verlässt, stellen wir unser Boot in die langsam dahinfliessende Strömung.
Unser ständiger und ruhiger Begleiter, der Mond, erhellt in sanftem Licht die leicht kräuselnden Wasser des Fiume um unser Boot, einzelne Meeräschen durchbrechen erschrocken die Oberfläche und wir wissen: der Platz ist heiss.
Mit fast angehaltenem Atem sitzen wir gebannt auf unseren Plätzen, trauen uns kaum zu bewegen um keine verräterischen Laute in die Stille zu entsenden.
Die Wasserflasche wankt bedächtig als ich mich kurz bewege weil mein Hintern etwas schmerzt und ich mich bewegen muss – bleibt aber glücklicherweise stehen als ich mich wieder still und stumm auf mein Plätzchen niederlasse.
 
In weiter Entfernung vernehmen wir einen lauten Klatscher der jäh die Stille der magischen Abendstimmung durchbricht. Wir lassen uns aber nicht ablenken und bleiben ruhig auf unseren Plätzchen sitzen.
Das langgezogene Naturufer hinter uns gelassen gelangen wir in den ersehnten Bereich der ersten Steinschüttung der ausgedachten Strecke. Die Steinschüttung wird uns nun in den nächsten Minuten unseres Drifts verschiedene Gesichter zeigen. Viele kleine und grössere Ausbuchtungen, belebt durch die flinken Meeräschen, ziehen langsam an uns vorbei und die Spannung steigt und steigt. Die Gedanken spielen ein weiteres Mal verrückt und hinter jeder ankommenden und verschwindenden Ausbuchtung vermuten wir den Wels, das Ungetüm. Mit diesen Gedankenspielen nehmen wir langsam und bedächtig unsere Ruten aus den Rutenhaltern. Nebst dem, dass uns der Schweiss in der sehr, sehr warmen Nacht noch immer die Stirn und den Rücken herunterläuft, kommen noch erschwerend die vielen kleinen Stechvampire hinzu. Mücken… wie wir die kleinen Teufel doch hassen – aber was soll’s, nicht jammern sondern fischen. Gedankensprünge hin oder her, Mücken hin oder her sättigen wir den gelockerten Griff an der Rute, Rollenbügel umgeklappt und nach dem der Köder nochmals kontrolliert wurde fliegt er ein erstes Mal durch die Nacht. Das Adrenalin steigt, die Beine wanken nicht nur wegen den stärkeren Verwirbelungen unter dem Bootsboden sondern auch weil wir mit jedem Moment schon nach dem ersten Wurf DIE ATTACKE erwarten.
 
Der Wobbler landet wunschgemäss mit einem satten Platscher nahe der leicht ins Wasser ragenden  Steine. Die flinke Bewegung unserer noch freien Hand schliesst den Rollenbügel gleichzeitig mit dem Platscher und wir kurbeln unsere Köder die ersten Meter in den nächtlichen Fluten des Fiume. Mit langsamen aber doch konstanten Kurbelumdrehungen verleihen wir dem Wobbler Leben und ziehen ihn durch die dichtstehenden Bahnen der tobenden Meeräschen.
Die ersten Würfe landen alle in den heissen Zonen, jedoch scheint hier kein Wels auf der Lauer zu liegen. Die Nacht zieht sich in die Länge, die Mücken werden weniger, der Wunsch nach Drill und Kampf in der nächtlichen Umgebung jedoch immer mehr. Wurf um Wurf landet im Wasser, ab und an streifen wir eine Meeräsche welche sich mit einer rasanten Flucht und weitem Sprung aus dem Staub macht.
 
Die Steinaufschüttung, der Hot Spot in unseren Augen, geht langsam zu Ende. Im Augenwinkel zwischen den unentwegten, konzentrierten Würfen tauchen langsam die ufersäumenden Gebüsche des Dammes auf. Ein Wels aber noch immer Fehlanzeige. Den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da! Ein Platscher, die Meeräschen schiessen auseinander, die Kleinen suchen mit schnellen und kurzen Sprüngen das Weite, die Grossen unter ihnen springen mit kraftvollen Schlägen angetrieben von muskulösen Körpern ins Ungewisse. Das Wasser kocht um unser Boot, unsere Gedanken schreien Wels, Wels, Wels…. doch wir bleiben ruhig, soweit das irgendwie geht. Ruhig in der Konzentration werfen wir konzentriert die Stellen ab, kürzer in den Abständen und nahe dem Bereich wo der Platscher herkam. Der Moment verweilt in den Sekunden zur Endlosigkeit, wir schauen dem Wobbler hinterher. Dieser klatscht auf das Wasser, wir denken jeden Wassertropfen einzeln zu sehen und in diesem Moment schiesst ein Wels aus der dunklen Tiefe aus einer der letzten Ausbuchtungen in den massiert stehenden Steinansammlungen. Die Spannung steigt in den wenigen Sekunden dieses Moments, der Schrei nach dem Anschlag schon fast den Stimmbändern und der Kehle entsprungen. Doch der Anschlag, der vermeintlich perfekt gesetzte Anschlag geht ins Leere… Fluchen könnte ich – der Welt die Schande dieses Moments erzählen, aber was nützt es? Ich habe den Fehler gemacht.
 
Die Gedanken wieder in Ordnung gebracht, die Konzentration wieder auf dem Wesentlichen platziert und weiter geht’s. Dann – ein weiterer Platscher. Eine Attacke jedoch bleibt aus, schade. Während uns die Strömung an das Ende der Steinschüttung gebracht hat beraten und einigen wir uns, dass wir noch ein paar Meter weiter in den Übergangsbereich zum Naturufer werfen. Mit dem festen Willen und die letzte Attacke noch im Hinterkopf, werfen wir wieder die Köder in die Fluten. Kaum war der Wobbler in den dunklen Fluten dieser Sommernacht verschwunden – ein heftiger Schlag in die Rute, welche sich auch augenblicklich krümmt! Die Rolle beginnt mit dem Lied des Drill’s und ein einsamer Schrei durchschneidet die Stille der Nacht. Die Rute im festen Griff, die Hand an der Rolle und der Tanz beginnt. Der Wels schiesst sofort in die Tiefe, nimmt einige Meter von der taff geschlossenen Rolle und wir merken: das ist ein starker Gegner. Die Schnur schneidet sich Zentimeter für Zentimeter durch das Wasser, ich gewinne die Oberhand und geniesse einen supertollen Drill inmitten der Nacht, inmitten der Mücken, inmitten der von Mondeslicht umringten Stimmung auf dem Fluss. Die Rolle kreischt ein weiteres Mal auf, die Kraft meines Gegners schwindet jedoch mit jeder Flucht und nach wenigen Minuten tauchen Blasen im Lichtkegel meiner Stirnlampe auf. Der Wels wird müde, gibt Luft ab und das ist meist ein gutes Zeichen. Wenige, nur wenige Zentimeter müssen es noch sein und der Wels wird sich zeigen…
 
Doch dann durchdringt ein lautes Ring, Ring, Ring! die Stille des Seins und ich werde wach. Der Wecker klingelt, benommen und noch immer in der Faszination des Traums erwache ich fast schweissgebadet in meinem Bett. Alles war nur ein Traum. Ein Traum? NEIN, schallt es durch meine Gedanken… aber was soll’s, das Schönste an dieser Sache ist, dass der Wecker klingelt und mich weckt, weil der Tag X gekommen ist und wir tatsächlich an den Fiume fahren. Die letzten Stunden vor der Reise haben wir noch ein wenig an Schlaf versucht vorzuholen um in den nächsten Tagen die Nächte in vollen Spinnfischerzügen geniessen zu können. Mit bedächtigen Bewegungen schlüpfe ich aus der Umarmung der Bettdecke, stehe auf und hüpfe unter die Dusche. Der Geist und die Seele nun wach bereite ich mich auf die Reise vor. Das Tackle und die Ruten bereits gepackt und im Wagen verstaut machen wir uns auf den Weg. Wie der Trip wohl wird, das wird sich zeigen… vielleicht wie in einem Traum.
 
Réne Klay